Das Wunder von Untermberg

Der Sport schreibt oftmals Geschichten. Der Sport schreibt ab und zu auch verrückte Geschichten. Und der Sport schreibt Geschichten die so unglaublich sind, dass man diese nie vergessen wird. Das Wunder von Bern mit dem ersten Fußball WM-Titel für Deutschland war so eine Geschichte. Eine weitere sollten die Zuschauer und Protagonisten am vergangenen Sonntag in der Untermberger Sporthalle erleben. Dort empfang der Tabellenvorletzte der 3. Damen-Bundesliga Gruppe Süd den unangefochtenen, ungeschlagenen Tabellenführer und schon als Meister feststehenden NSU Neckarsulm zum Saisonabschluss. Für die Bietigheimerinnen ging es in diesem Spiel um das nackte Überleben, denn nur ein Sieg gegen das Spitzenteam der Liga könnte dem Team noch zum Klassenerhalt verhelfen. Dazu mussten aber auch in den Parallelspielen zwischen Schwabhausen II – Kolbermoor II und Hofstetten – Süßen entsprechende Ergebnisse her, damit den Bietigheimerinnen die Chance auf den Klassenrehalt blieb. „Wir haben es selbst nicht in der Hand. Aber wir müssen uns erst einmal auf uns konzentrieren. Wir stehen vor einer Mammutaufgabe“ so TTC-Coach Andreas Kienle vor dem Spiel.

Die erste Ernüchterung folgte dann bereits vor Spielbeginn. Schwabhausen, seines Zeichen Drittletzter vor dem letzten Spieltag, gewann gegen ersatzgeschwächte Damen aus Kolbermoor mit 6:1 und war somit raus aus dem Abstiegskampf. So richtete sich der ganze Fokus der Bietigheimer auf das Spiel der Damen aus Süßen in Hofstetten. Da beide Teams zwei Punkte vor dem TTC lagen, benötigten die Bietigheimer aufgrund der Spieldifferenz entweder einen 6:2 Sieg der Bayerinnen oder einen 6:3 Sieg der Filstälerinnen. Während das Spiel in Untermberg erst um 16.00 Uhr startete begann das Spiel in Hofstetten bereits um 14.00 Uhr, so dass man mit einem Endergebnis noch während des eigenen Spiels rechnen konnte.

Das Spiel vor knapp 100 Zuschauern in der Untermberger Sporthalle begann direkt mir einem Paukenschlag. Denn sowohl Hong Chen/Alexandra Kaufmann als auch Annett Kaufmann/Paloma Ballmann konnten ihr Eingangsdoppel erfolgreich gestalten. Chen/Alexandra Kaufmann siegten in fünf Sätzen gegen Lenka Harabaszova/Kathrin Hessenthaler, während Annett Kaufmann/Ballmann mit 3:1 gegen Wenna Tu/Rebecca Matthes erfolgreich waren. Die Freude in Untermberg wurde dann noch größer als das Endergebnis aus Hofstetten eintrudelte. Die TTG Süßen hatte mit 6:3 gewonnen, was bedeutete, dass den Bietigheimerinnen ein Sieg, egal in welcher Höhe, reichen wird. Doch im Anschluss mussten die TTC-Damen ihren ersten Rückschlag hinnehmen. Alexandra Kaufmann hatte gegen Harabaszova keinerlei Chance und unterlag glatt in drei Sätzen zum 2:1. Als dann auch noch Chen am Nebentisch gegen Tu einen souveränen 2:0 Satzvorsprung verspielte, schien sich das Blatt zu Gunsten des Favoriten, der selbst mit 30 Fans angereist war, zu drehen. Doch Chen biss sich im Entscheidungssatz zurück in die Partie. Beim Stand von 9:6 schien sie auf bestem Wege das Spiel für sich zu entscheiden. Doch Tu kämpfte sich zurück und glich zum 9:9 aus. Chen sicherte sich im Folgenden jedoch den ersten Matchball und dann schien sich auch noch Fortuna auf Seiten des TTC zu schlagen. Chen returnierte den Aufschlag ihrer Kontrahentinnen mit einem eigentlich unerreichbaren Netzroller, der den Sieg bedeutet hätte. Doch die Neckarsulmer Jugend-Nationalspielerin, erreichte den Ball noch und spielte ihn mit unglaublich viel Ballgefühl noch zurück auf den Tisch. Chen vermochte den Punkt nicht zu machen und so ging es bei 10:10 in die Verlängerung. Tu sicherte sich dann ihren ersten Matchball mit einem starken Return zum 11:10. Doch Chen konnte diesen abwehren und sich ihrerseits mit 12:11 den zweiten Matchball sichern. Diesen verwandelte dann die Bietigheimer Spitzenspielerin mit all ihrer Klasse unter dem Jubel der Bietigheimer Fans zum 3:1 Zwischenstand. Es folgte ein hart umkämpftes 1:3 von Annett Kaufmann gegen Hessenthaler und ein erster formidabler Auftritt von Ballmann mit einem 3:1 gegen Matthes. Im Duell der Spitzenspielerinnen konnte Chen wenig mit den gefährlichen Aufschlägen von Harabaszova anfangen und unterlag in vier Sätzen. Doch am Nebentisch zelebrierte Alexandra Kaufmann Tischtennis vom Feinsten und ließ ihrer Konkurrentin Tu in drei Sätzen keine Chance. Das 5:3 war geschafft und plötzlich fehlte dem TTC-Quartett nur noch ein Punkt zur Rettung, zur Sensation, zum Wunder. Annett Kaufmann konnte diesen Punkt in ihrem Duell gegen Matthes jedoch nicht einfahren. Zu fehlerhaft zeigte sich ihr Spiel gegen die Unterländerin, die ihr Team auf 5:4 heranbrachte. So war es an Ballmann, die im letzten Spiel gegen Hessenthaler ihr Team vor dem drohenden Abstieg retten musste. Die Spannung war zum Greifen. Ballmann, die selbst vor fünf Jahren aus Neckarsulm zum TTC gewechselt war, legte los wie die Feuerwehr und sicherte sich mit 11:5 den ersten Satz. Auch im zweiten Satz schien zunächst alles nach einem Erfolg der Bietigheimerin hinzuweisen. Doch Hessenthaler kämpfte sich zurück und glich zum 9:9 aus. Doch zwei gute Rückschläge von Ballmann brachte die 2:0 Satzführung. Beflügelt von dem knappen Satzgewinn spielte sich Ballmann auch im dritten Satz schnell in Front. Am Ende verwandelte Ballmann ihren zweiten Matchball beim Stand von 10:7 zum 11:7. Der Jubel in der Untermberger Sporthalle kannte keine Grenzen. Der Sieg war geschafft und damit auch der Klassenerhalt. „Es ist ein Wunder. Wir haben vor dem Spiel noch gesagt, dass es machbar ist. Aber jetzt ist es einfach nur ein unbeschreibliches Gefühl“ gibt sich Kienle wortkarg nach Spielende. „Paloma hat heute unser tiefsten Danke verdient. Sie hat ihr Herz rausgeholt und gekämpft wie eine Löwin“ lobte TTC-Coach Florian Grünenwald den Auftritt seiner Spielerin. „In Neckarulm war sie einst nicht mehr gut genug. Für uns ist sie heute die Matchwinnerin und unsere Nichtabstiegsheldin. Was für eine Geschichte“ so Grünenwald weiter.

Während die Neckarsulmerinnen nach der Niederlage trotzdem die Drittligameisterschaft feierten ließen die Bietigheimerinnen auf einer spontanen Nichtabstiegsfeier die Korken knallen. „Es ist die größtmögliche Sensation. Ich kann es noch nicht wirklich fassen. Es wird sicherlich ein paar Tage brauchen, bis ich das realisiert habe“ so Ballmann zu später Stunde. „Ich bin so froh, dass ich dem Team in diesem wichtigen Spiel helfen konnte. Ich hatte wohl einen ganz guten Tag“ so die Bietigheimer Matchwinnerin weiter.

Am Ende belegten die TTC-Damen bei Punktgleichheit von 14:22 Punkten mit einem Spielverhältnis von -14 Spielen ein genau um ein Spiel besseres Spielverhältnis gegenüber dem TV 1921 Hofstetten, die damit gemeinsam mit dem Tabellenletzten VfL Sindelfingen den Gang in die Regionalliga antreten muss, sollte es nicht noch einen Rückzug einer Mannschaft geben. „Wir gehen nun in die finalen Planungen für die kommende Runde. Wir freuen uns auf ein weiteres Jahr in der Dritten Liga“ so Kienle abschließend.

mg

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