Das Wunder von Berlin: Hartmut Freund ist Olympiasieger
Das deutsche Tischtennis-Doppel Hartmut Freund / Detlef Steitzer hat bei den Weltspielen der Special Olympics das Unmögliche möglich gemacht und unter den Augen von DOSB-Chef Thomas Weikert Gold in der stärksten Leistungsklasse erkämpft. Silber und Bronze gingen an die Topfavoriten aus Japan und Ungarn. TTC-Sportler Hartmut Freund (55) startet bei den Special Olympics für die TSG Reutlingen, sein Partner Steitzer (62, auf dem Foto links), der im Regelsport für den SSV Scheuen spielt, ging für die Lebenshilfe Celle an den Start. Damit gewannen ausgerechnet die beiden mit Abstand ältesten Spieler der Konkurrenz den Wettkampf auf dem Berliner Messegelände. Der deutsche Trainer Stefan Messlinger, ein zum Understatement neigendender nüchterner Analytiker, sprach anschließend wiederholt von einer „Sensation“. Es ist der bisher größte sportliche Erfolg für die beiden frischgebackenen Olympiasieger. Bei den letzten Weltspielen 2019 in Abu Dhabi hatte Freund zweimal Silber gewonnen. Die Weltspiele der Special Olympics sind vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) anerkannt.
Nachdem das deutsche Doppel in der Vorrunde nur gegen das an Nr. 1 gesetzte ungarische Duo Tamas Kiss / Andrea Mate verloren hatte, erwies sich zu Beginn der Finalrunde, in der die vier besten Doppel jeder gegen jeden spielten, der Mitfavorit aus Japan, das Doppel Kyoko Ebisawa / Shora Morimatsu, als der erwartet schwere Gegner. Die beiden Deutschen hielten nach schwachem Start mit unbändigem Kampfgeist dagegen. Doch Steitzer, der vor einigen Tagen in der stärksten Leistungsklasse der Einzel-Konkurrenz Rang 6 hinter Freund (Platz 5) belegt hatte, fand kein Rezept gegen die raffinierten Unterschnitt-Aufschläge von Morimatsu, so dass die Japaner das Match mit 11:1, 5:11, 11:6, 3:11 und 11:3 gewannen.
Danach wartete das bis dahin ungeschlagene ungarische Duo, deren Spitzenspieler Tamas Kiss zuvor die Einzelkonkurrenz der Weltspiele klar gewonnen hatte. In der Vorrunde hatten Freund und Steitzer keinen Satz gegen die beiden Topspin-Spezialisten aus Ungarn gewonnen. Was danach folgte, war unfassbar. Die Deutschen hielten bereits im ersten Satz, der mit 11:8 an Ungarn ging, überraschend gut mit und gewannen den zweiten nach 7:10-Rückstand mit 14:12 in der Verlängerung. Danach wurden Kiss und Mate sichtlich nervös, während Steitzer in der Defensive immer sicherer wurde und mit Rückhand-Schüssen punktete. Derweil spielte sich Freund, der als der weltbeste Tischtennis-Spieler mit einer schweren geistigen Behinderung gilt, vor einem begeisterten Publikum in einen regelrechten Flow hinein, blockte die Topspins der Ungarn überragend und lehrte diese mit exakt platzierten Flips und Schüssen das Fürchten. Auch eine Auszeit konnte Kiss und Mate schließlich nicht mehr retten, sodass Deutschland die Sätze 3 und 4 sensationell mit 11:4 und 11:7 gewann.
Aufgrunddessen mussten die beiden letzten Spiele der Finalrunde über die Medaillen entscheiden. Die beiden Routiniers Freund und Steitzer behielten in dieser Situation unter den Augen von DOSB-Chef Weikert (auf dem Foto rechts) gegen das etwas schwächere Doppel David Kersenti / Pazit Rubens aus Israel die Nerven und gewannen ihr letztes Match mit 11:2, 8:11, 11:7 und 11:6, während am Nachbartisch die Ungarn im Duell der Topfavoriten Japan im fünften Satz mit 11:0 deklassierten. Damit hatten die drei stärksten Teams der Endrunde je zwei Partien gewonnen und eine verloren. Zuerst verbreitete sich im deutschen Team das Gerücht, man habe Silber gewonnen. Dann aber zückte die Turnierleitung den Rechenstift und stellte ein für alle Mal fest: Deutschland hat mit 8:5 das bessere Satzverhältnis gegenüber Japan (8:6) und Ungarn (7:6), sodass Gold an Deutschland, Silber an Japan und Bronze an Ungarn geht. Der Coach des deutschen Duos, Norbert Freund, bekannte anschließend: „So richtig konnte ich es erst glauben, als mir TTC-Mitglied Klaus Klemisch, der sich als Volunteer in der Halle aufhielt und die Geschehnisse fotografisch festhielt, das offizielle Endergebnis schwarz auf weiß präsentierte.“
Nachfolgend erste Berichte in TT-Fachmedien.